Im Gespräch: Dr. Axel Timpe "CoProGrün" und Prof. Dr. Hans Joachim Linke "AktVis"
2019 enden die ersten "Kommunen innovativ" Verbundvorhaben. Zwei Projektvertreter geben Einblick in die bisherigen Ergebnisse und welche Rolle die Wissenschaft hierfür übernahm.

Im Jahr 2016 ist die Fördermaßnahme "Kommunen innovativ" gestartet. Im Jahr 2019 wird die Förderperiode für die ersten Verbundvorhaben enden. Wo stehen die Verbundvorhaben und welche Ergebnisse wurden gewonnen? Antworten auf diese Fragen geben Dr. Axel Timpe ("CoProGrün") und Prof. Dr. Hans Joachim Linke ("AktVis"). Aus dem Blickwinkel der Wissenschaft betrachten Sie, welche Ergebnisse aus den Verbundvorhaben entstanden sind, welche Ziele mit den Vorhaben verfolgt wurden und ob diese auch erreicht wurden.

Dr. Axel Timpe ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der RWTH Aachen und erforscht im Verbundvorhaben "CoProGrün", wie Grünzüge gemeinschaftlich attraktiv gestaltet, bewirtschaftet und damit langfristig erhalten werden können. Am Beispiel eines Grünzugs in der Metropole Ruhr bringt "CoProGrün" daher Landwirtschaft, Unternehmen und engagierte Zivilgesellschaft zu einem gemeinsamen Ziel zusammen.
Im Verbundvorhaben "AktVis" untersucht Prof. Dr. Hans Joachim Linke von der TU Darmstadt wie Visualisierungen helfen können, Bürgerinnen und Bürgern innerörtliche Flächenpotenziale bewusst zu machen. Ein gestufter Beteiligungsprozess soll helfen, Chancen zu vermitteln, Befürchtungen abzubauen und Nachverdichtungspotenziale zu nutzen und somit den Verbrauch wertvoller Flächen im Außenbereich zu vermeiden.

 

Bitte beschreiben Sie uns kurz Ihre Projektidee – welche Ansätze verfolgt Ihr Verbundvorhaben, um mit den Auswirkungen des demografischen Wandels umzugehen?

Dr. Axel Timpe – "CoProGrün": "CoProGrün" versucht, Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen als Teilhaber und Unterstützer der Grünen Infrastruktur im Ruhrgebiet zu gewinnen. Viele Menschen profitieren auf unterschiedliche Weise von den Grünzügen. Wir versuchen, Akteure mit unterschiedlichen Interessen am Freiraum zusammenzubringen um gemeinsame Projekte zu entwickeln. Dies beinhaltet klassische Interessenvertretungen wie Naturschutzverbände und traditionelle wirtschaftliche Nutzer wie Landwirte, aber auch Menschen, die sich für regionale Ernährung interessieren oder selbst Nahrungsmittel produzieren wollen. So entstehen neue Kombinationen bürgerschaftlichen Engagements für Natur und Landschaft wo bisherige Modelle der Pflege und Unterhaltung an ihre Grenzen kommen.

Prof. Dr. Hans Joachim Linke – "AktVis": Die Auswirkungen des demografischen Wandels werden in den drei beteiligten südhessischen Kommunen Bensheim-Langwaden, Münster und Otzberg-Ober-Klingen vorrangig durch die Alterung der Bevölkerung sichtbar. Daraus folgt u.a. eine Nachfrage nach seniorengerechten Wohnraum, die möglichst durch Innenentwicklung gedeckt werden soll. Im Projekt "AktVis" werden über einen dreistufigen Beteiligungsprozess private Immobilieneigentümer*innen motiviert, ihre Grundstücke einer Nutzung im Sinne der Innenentwicklung zuzuführen. Zunächst werden auf Ortsteils- und auf Quartiersebene der Gemeinschaftssinn bezogen auf eine Innenentwicklung gestärkt. Mit interessierten Immobilieneigentümer*innen werden auf Projektebene dann Ideen zur Umsetzung von Bauprojekten entwickelt. Durch eine Visualisierung aktueller und ggf. zukünftig möglicher Bebauung werden die räumliche Vorstellung möglicher Veränderungen unterstützt und Befürchtungen ausgeräumt. Gelungene Fallbeispiele regen weitere Immobilieneigentümer*innen zu eigenen Projekten an.

Welche Erkenntnisse sind in Ihrem Verbundvorhaben bisher entstanden?

Dr. Axel Timpe – "CoProGrün": Vernetzung über traditionelle Milieu- und Sektorengrenzen hinweg lohnt sich. Die Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern aus Regionalverwaltung, Landwirtschaft und Zivilgesellschaft zur Aktivierung der jeweils eigenen Akteurslandschaft und der Austausch in gemeinsamen Veranstaltungen wie der "CoProGrün" Ideen- und der Projektbörse hat zu vielen neuen Kontakten in der Zivilgesellschaft und gemeinsamen Projekten geführt. Genauso wichtig sind die gezielten Vernetzungen zwischen Akteuren und die Unterstützung der Akteure mit know-how. Die Zusammenarbeit der verschiedenen sektoralen Akteure auf interkommunaler Ebene zeigt sich als ein Schlüssel, der viele neue Ideen möglich macht. Dieses Format nach dem Ende des Projektes fortzuschreiben ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. Ein Ansatz dafür ist die im Projekt initiierte Route der Agrarkultur, die als Gemeinschaftsprojekt von Regionalverband, Landwirten und urbanen Gärtnern weiterentwickelt werden soll. Sie schafft die Verbindung zwischen den Stadtquartieren und der Landwirtschaft im Grünzug und kann als Zusammenarbeitsmodell in die anderen Grünzüge des Ruhrgebietes übertragen werden.

Prof. Dr. Hans Joachim Linke – "AktVis": Die Mobilisierung und Sensibilisierung der Bürger*innen und privaten Immobilieneigentümer*innen gestaltet sich sehr aufwendig und langwierig. Sie gelingt vielfach nur durch direkte persönliche Ansprache. Dabei übernehmen vor allem die Mitglieder der Ortsbeiräte und der Bürgermeister die Funktion des Ansprechpartners vor Ort. Im Vergleich zwischen den Kommunen zeigt sich, dass die Mitwirkungsbereitschaft und die Qualität der Ergebnisse vom gegebenen Gemeinschaftssinn vor Ort abhängen. Zur Stärkung des Gemeinschaftssinns sind vielfältige Öffentlichkeitsarbeit und vor allem Workshops sinnvoll. Hierdurch lassen sich Hemmschwellen abbauen sowie umsetzbare Projekte der Innenentwicklung identifizieren und initiieren. Da Innenentwicklung eine sehr komplexe Thematik ist, die viele Ressourcen vor Ort benötigt um erfolgreich umgesetzt zu werden, stellt die weitere Umsetzung dieser Projekte die beteiligten Kommunen vor große Herausforderungen.

Sie sind der wissenschaftliche Partner in dem Verbundvorhaben. Welche Rolle übernehmen Sie im Projekt konkret und wie unterstützen Sie als Wissenschaft ihre kommunalen Partner besonders?

Dr. Axel Timpe – "CoProGrün": Für uns als Landschaftsarchitekten in der transdisziplinären Forschung ist der Übergang zwischen Wissenschaft und Praxis fließend. Ob in der Forschungsarbeit oder im Planungsbüro: wir entwerfen mit kommunalen Partnern mögliche Zukunftsentwicklungen. Von den Entscheidungen auf dem Weg zu einer gewünschten Entwicklung kann die Wissenschaft die kommunale Politik und Verwaltung nicht befreien. Kommunalpolitik bedeutet, Verantwortung für die Risiken der Zukunftsentwicklung zu übernehmen. In unserem transdisziplinären Konsortium für "CoProGrün" sind alle Partner gleichermaßen an der Entwicklung von Innovationen beteiligt. Unsere Aufgabe als koordinierender Wissenschaftspartner ist es dabei vor allem, innerhalb des Rahmens der alltäglichen Pflichtaufgaben in den Kommunen die Fragestellungen und den Freiraum für die Arbeit an Transformationsaufgaben zu schaffen, sowie die Erkenntnisse dieses gemeinsamen Prozesses festzuhalten und für die Übertragbarkeit aufzubereiten.

Prof. Dr. Hans Joachim Linke – „AktVis“: Als wissenschaftlicher Partner zeigen wir den kommunalen Partnern die Möglichkeiten einer Ansprache und Beteiligung der Bürger*innen und Immobilieneigentümer*innen auf, entwickeln gemeinsam die Vorgehensweise und unterstützen bei der Umsetzung. Vor allem unsere Moderationsleistungen sind im Prozess der Innenentwicklung hilfreich. Die neutrale Position der Wissenschaft übernimmt im Spannungsfeld zwischen Bürger*innen und Kommunen den Blick von außen und ermöglicht es bei Meinungsverschiedenheiten und Konflikten zu schlichten und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. So können auch örtliche Prozesse analysiert und an die neuen Herausforderungen angepasst werden. Verbessert werden durch die „Ausnahmesituation Forschungsprojekt“ die Zusammenarbeit innerhalb der Kommunen sowie die interkommunale Abstimmung. Des Weiteren ist bei kleineren Kommunen eine Unterstützung mit fachlichem Wissen wichtig, um Lösungen für anstehende Herausforderungen der Innenentwicklung aufzuzeigen.