Herausforderungen der Transdisziplinarität

In „Kommunen innovativ“ arbeiten Kommunen und Wissenschaft gleichberechtigt in gemeinsamen Forschungsprojekten. Sie sind explizit aufgefordert, in den geförderten Frei- und Experimentierräumen den Forschungsprozess mitzugestalten und die Lösungsansätze aktiv zu erproben. Damit hebt sich „Kommunen innovativ“ von anderen Fördermaßnahmen ab.

Diese Kooperation zwischen Kommunen und Forschungseinrichtungen bietet die Chance, die Erfahrungen der 30 Verbundvorhaben zu analysieren: Was lässt sich aus dem Anspruch und den damit verbundenen Ansätzen lernen, Kommunen als Initiatorinnen, Partnerinnen und Adressatinnen von Forschung zu stärken? Was bedeutet es für Forschung und Praxis, wenn Kommunen nicht Auftraggeber von Forschung, aber auch nicht nur „Beforschte“ sind – sondern Partnerinnen in einem gemeinsamen Prozess?


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Die Komplexität transdisziplinärer Forschung

Dieser gemeinsame Forschungsprozess wird als transdisziplinäre Forschung bezeichnet. Sie ist, so Defila und Di Giulio „eine Variante einer auf eine Synthese ausgerichteten interdisziplinären Forschung, d.h. am Forschungsprozess beteiligen sich nicht nur Forscherinnen und Forscher aus verschiedenen Disziplinen als sogenannte ‚certified experts‘, sondern auch Praxispartner als sogenannte ‚non-certified experts‘“ (2016, 17). Transdisziplinarität überschreitet damit nicht nur wissenschaftliche Fachgrenzen (Interdisziplinarität), sondern auch die Grenze zwischen Forschung und Praxis. Sie bindet neben Systemwissen auch das Erfahrungs- und Umsetzungswissen der Praxis gleichberechtigt in die Forschungsprozesse ein.

Transdisziplinäre Forschung befasst sich mit komplexen, gesellschaftlichen Problemen. Diese sind häufig so verwoben und vielschichtig, dass allein die Beschreibung des zu lösenden Problems an traditionellen, disziplinären Grenzen und klassischen Forschungsvorstellungen scheitert. „Was genau ist wirklich unser dahinterliegendes Problem?“ wird zu einer zentralen und nicht mehr trivialen Frage. Erforderlich ist hierfür „eine neue Herangehensweise und neue Formen der Wissensproduktion, welche die Struktur dieser komplexen gesellschaftlichen Probleme adäquat aufgreifen“ (Jahn 2008, 25). Im Rahmen transdisziplinärer Forschung wird der gemeinsame Forschungsgegenstand daher von Wissenschaftler*innen verschiedener Fachdisziplinen und gesellschaftlichen Akteur*innen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft etc. gemeinsam definiert. Typische Themenfelder sind Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Globalisierung aber auch der demografische Wandel.

So vielversprechend dieser Forschungsmodus für die Lösung komplexer Probleme und die Entwicklung umsetzungsorientierter Ansätze klingt, so anspruchsvoll ist es, transdisziplinäre Forschungsvorhaben erfolgreich anzustoßen und durchzuführen. Herausfordernd ist es unter anderem, ein solches umfassendes Problemverständnis zu entwickeln, in das auch Erklärungsbausteine aus dem sozio-kulturellen Bereich ihre Bedeutung erhalten. Es gilt zudem die unterschiedlichen Kompetenzen zur Problembestimmung und -lösung gleichberechtigt und ohne einseitige Dominanzen zusammenzuführen. Zudem muss zwischen den Partnern ein langfristiger Verständigungsprozess organisiert und aufrechtzuerhalten werden, um einen langlaufenden Prozess erfolgreich zu gestalten.

Dr. Jens Libbe arbeitet in seinem Vortrag die Besonderheiten der Transdisziplinarität und die dahinterliegenden Motivationen heraus und zeigt die Herausforderungen auf, die mit der damit verbunden Integration unterschiedlicher Herangehensweisen verbunden sind.

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Zusammenarbeit von Kommunen und Wissenschaft in der Fördermaßnahme

Mit der expliziten Förderung der Zusammenarbeit von Kommunen und Forschung unterscheidet sich „Kommunen innovativ“ von den meisten anderen Fördermaßnahmen. Damit relevante Ergebnisse für die Praxis entstehen, sind Kommunen gleichwertige Partnerinnen in den Vorhaben. Dies wird in der Zusammensetzung der geförderten Vorhaben sichtbar: An den 30 Vorhaben der ersten beiden Förderrunden der Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“ sind etwa gleich viele kommunale und wissenschaftliche Partner beteiligt. Werden auch Kommunen berücksichtigt, die keine unmittelbare finanzielle Förderung erhalten, ist der kommunale Anteil sogar deutlich höher. Den Großteil bilden dabei Klein- und Landstädte (Städte mit weniger als 20.000 Einwohnern), sind sie es doch, die am stärksten vom demografischen Wandel betroffen sind.

Dennoch überwiegt innerhalb der geförderten Vorhaben zunächst noch eine „klassische“ Aufgabenteilung: In den 30 Vorhaben übernehmen Kommunen in nur gut einem Drittel (11) die Projektkoordination. Häufiger sind außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und Hochschulen (16) dafür verantwortlich. Aber auch drei zivilgesellschaftliche Organisationen sind Projektkoordinatorinnen. Bei der Leitung eines Kooperationsprojekts wirken also die bisher etablierten Strukturen, Kompetenzen und Erfahrungen zu Gunsten der Wissenschaft weiter.

Allerdings zeigt sich, dass sich das Verständnis von transdisziplinärer Forschung als gleichberechtigte Partnerschaft unterhalb der formellen Leitung entwickelt hat: 17 der 30 Projekte haben sich als explizit partnerschaftliches Tandem aus einem kommunalen sowie einem wissenschaftlichen Partner zusammengefunden, zum Teil ergänzt durch weitere zivilgesellschaftliche und/oder private Institutionen. Bei den weiteren Projekten kooperieren kommunale und wissenschaftliche Partner zwar ebenfalls eng – hierbei ist jedoch ein wahrnehmbar stärkerer entweder kommunaler oder wissenschaftlicher Schwerpunkt erkennbar. Letztlich scheint sich in „Kommunen innovativ“ der transdisziplinäre Ansatz somit stärker auszuprägen als in früheren Fördermaßnahmen.

Jan Abt und Julia Diringer betrachten die transdisziplinäre Arbeit aus dem bisher wenig behandelten Blickwinkel der kommunalen Akteure. Aufbauend auf den Erfahrungen der BMBF-Fördermaßnahme „Kommunen innovativ“ verdeutlichen sie die Mehrwerte und Erfolgsfaktoren, die für Kommunen in der Partnerschaft mit Wissenschaft entstehen.

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Forschungsansatz und Forschungsfragen

Doch trägt die Hoffnung auf Mehrwerte in partnerschaftlich-transdisziplinären Projekten? Können in den Vorhaben gleichermaßen wissenschaftlich fundierte („exzellente“) und praxistaugliche („relevante“) Lösungen erarbeitet werden? Was bedeutet diese Kooperation für Kommunen? Lohnt sich aus ihrer Sicht das Wagnis, sich auf transdisziplinäre Forschung einzulassen? Und was ist hierbei zu beachten?

Diese Fragestellungen sind Gegenstand des Forschungsbausteins „Kommunen und Forschung, den die Begleitforschung KomKomIn zum Ende der Laufzeit bearbeitet. In Workshops und Interviews mit unterschiedlichen Vertreter*innen aus den Verbundvorhaben werden die Erfahrungen der Beteiligten aufbereitet und analysiert. Die Ergebnisse stehen Ihnen hier ab Ende 2021 zur Verfügung. Sie sollen insbesondere Kommunen helfen, die Besonderheiten einer kooperativen, praxisorientierten Forschungsarbeit in den Blick zu nehmen und transdisziplinäres Arbeiten als Gewinn für ihre kommunale Praxis nutzen zu können.

 

Zum Weiterlesen
Defila, Rico / Di Giulio, Antonietta (2016): Wie es begann – Vom Begleiten und vom Beschreiten gemeinsamer Wege, in: Defila, Rico / Di Giulio, Antonietta (Hrsg.): Transdisziplinär forschen – zwischen Ideal und gelebter Praxis. Frankfurt am Main. Seite 9-26.
Jahn, Thomas (2008): Transdisziplinarität in der Forschungspraxis, in: Bergmann, Matthias / Schramm, Engelbert (Hrsg.): Transdisziplinäre Forschung – Integrative Forschungsprozesse verstehen und bewerten. Frankfurt am Main. Seite 21-37.
Weith, Thomas / Danielzyk, Rainer (2016): Transdisziplinäre Forschung – Mehrwert für die Raumwissenschaften, in: Nachrichten der ARL. Nr. 2. Seite 8-12.